Die Liederhebamme Monochord

Resonanz bei Stimme und Instrument

28. Juni 2024

Lesezeit: 3 Minute(n)

Text und Fotos: Christina Lindl

Wenn wir uns mit dem Gesang und der menschlichen Stimme befassen, bleibt es nicht aus, unseren Körper als lebendigen Resonanzraum dazu zu nehmen. Wir beginnen unser Leben mit dem freien Ausdruck unserer Stimme im Tönen und unseres Körpers in der Bewegung. Der französische Arzt und Wissenschaftler Alfred A. Tomatis (1920–2001) berichtet in seinem Buch Der Klang des Lebens aus dem Jahr 1998 von der Aufrichtung der Wirbelsäule – phylogenetisch – über das aktive Lauschen im Mutterleib auf die Obertöne der Mutterstimme.

Möglichst die Unterbrechung des freien Tönens, eines freien Ausdrucks zu vermeiden, wäre eine wertvolle Ausrichtung in der Musikpädagogik und Pädagogik. Das gelingt selten: zumeist wird die Wahrheit auszudrücken (aufrecht sein, Aufrichtigkeit) während der Sozialisation unterdrückt, zumindest verdreht. Das schlägt sich auch im stimmlichen Ausdruck nieder und betrifft sowohl das Sprechen als auch das Singen. Natürlich auch den lebendigen Gesamtausdruck.

Wieder auf den Körper zu lauschen, das heißt das »dritte Ohr« (Joachim-Ernst Behrendt: Das Dritte Ohr. Vom Hören der Welt, 1985) zu bemühen und innere Impulse wahrzunehmen, denen auch nachzugehen, ist ein Weg hin zu einem freien Ausdruck des Körperinstruments.

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Die Klangliege ist ein therapeutisches Saiteninstrument, das speziell den Vibrations- und Hörsinn des Menschen anspricht. Auf der Klangdecke liegt der Klient – von unten werden viele Saiten mit den Fingern gestrichen.
Den Klang ihrer Monochorde optimiert Christina Lindl, indem sie sich am Geigenbau orientiert. Alle Instrumente sind mit einer Feinstimmung (z. B. Halbedelsteine) versehen und ermögliche ein bequemes Stimmen.

Das Monochord

Am Monochord (griechisch μόνος monos = einzeln, χορδή chorde = Saite) hat bereits Pythagoras (um 570 v. Chr. – nach 510 v. Chr.) in der Antike musiktheoretische und physikalische Zusammenhänge demonstriert und erklärt. Akustische Phänomene, wie der Zusammenhang zwischen Tonhöhe und Saitenlänge, die Bildung von Obertönen durch harmonische Teilung sowie Resonanz und Schwingung, können hier gut erläutert werden. Bei vielsaitigen Monochorden erklingt doch nur ein Ton mit einem großen Obertonspektrum. Vielfach werden die Instrumente dann auch als Polychord bezeichnet (griech. poly = mehrere).

Begleitend zur Anleitung zur Körperwahrnehmung bietet sich dazu das Monochord an, ein Instrument, das der menschlichen Stimme sehr nahe ist: auch sie ist ein Obertoninstrument. In dem Oberton-Klangteppich, der sich beim Streichen über die gleich langen, aneinander geordneten Saiten entfaltet, nimmt der Organismus die über dem Grundton schwingenden Intervalle wahr: ein vollwertiger Klang, so wie die menschliche Stimme. Dieser Klang erweckt den Eindruck, jeden weiteren Ton zu tragen, auch eine unsichere menschliche Stimme. Dabei gibt es keinen falschen Ton, jeder Ton ist richtig. So empfehle ich dieses Instrument jenen, die sich ihrer Stimme wieder annähern wollen, oder den Pädagogen, die dies erleichtern möchten. Ich habe das Monochord in dem Sinne als Liederhebamme bezeichnet:

Im Zuhören auf die schwebenden Intervalle kommt in mir eine Resonanz zustande, Melodien entfalten sich, drücken sich wie von selbst mit meiner Stimme aus. Insofern ist die Stimme dazu das Hauptinstrument geworden, das Monochord bloß eine wertvolle Unterstützung.

Über die Heilkraft des Singens für den Atem ist an anderen Orten ausführlich geschrieben und mit Studien belegt worden. Aber so viel von meiner Seite und Erfahrung in der Musiktherapie: Die wiederbelebte Stimme dient dem ersten Instrument, das wir mit auf die Welt bringen. Gleichzeitig stimmen wir uns mit diesem Instrument selbst: Wir massieren uns mit den ausgelösten Vibrationen durch die Stimme innerlich in einer Art Mikromassage bis in die Zellebene. Sie geraten dabei in Schwingung und werden entschlackt. Dabei kann der bewegliche Ausdruck des Körpers ein wichtiger Begleiter und Verstärker sein: Körper-, Energiearbeit, Bewegung, anknüpfen an den spielerischen Ausdruck, der ganz selbstverständlich am Beginn unseres Lebens mit uns war und unsere Lebensfreude erhält und generiert.

Christina Lindl

Zur Autorin

Christina Lindl studierte Pädagogik, Psychologie und Soziologie (Univ.) und absolvierte eine Schreinerlehre. Seit 1999 bietet sie Baukurse und Workshops zum Instrumentenbau an. Sie spezialisierte sich auf den künstlerischen Umgang mit Holz. Seit 2007 ist sie nun unternehmerisch in den Bereichen Monochordbau und -spielkurse, Naturmöbeldesign, Musik- und Therapie-Workshops tätig. 13 Jahre lehrte sie Gestaltung und Pädagogik an Fachschulen für Heilerziehungspflege und seit 2015 ist sie als Musiktherapeutin in der Fachklinik Enzensberg in Hopfen am See aktiv.

Ewww.naturholzmoebel-lindl.de

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